Hysterikon Fr, 27.01.2023
Die Theaterstadt Wien kennt nicht nur die "klassischen" und berühmten Theater, sondern - manchmal eher im Verborgenen - eine interessante Szene von Theater- gesellschaften und Spielstätten. Hierzu zählt "theater privat" seit gut zwei Jahrzehnten. Aufgeführt werden Stücke der modernen Theaterliteratur - und das jährlich, regelmäßig.

In diesem Jahr war es ein Text von Ingrid Lausund (geb. 1965 in Ingolstadt, lebt in Berlin). Die Autorin einer ansehnlichen Zahl von Theaterstücken, aber auch von Drehbüchern, hat nach ihrer Ausbildung an der Theaterakademie Ulm an diversen Stationen erfolgreich Regie geführt, genannt seinen hier nur die jahrelange Arbeit am Deutschen Schauspielhaus Hamburg und natürlich 1999 ihre Gastprofessur am Mozarteum in Salzburg. Die nächste Publikation von Ingrid Lausund ist für Feber zu erwarten: "Bin nebenan. Monologe für zuhause".

Das 2001 verfaßte "Hysterikon" hat als Rahmenhandlung einen Supermarkt, der von Kundinnen und Kunden (nach der Kleidung zu schließen) gehobener Schichten besucht wird. Zentral ist die Gestalt des großartigen Kassiers, der die wechselnden Kunden durch die Fragen und Probleme der Gegenwart (paßt auch für 2023!) führt.

Was ist der Wert von Gekauftem, nur der Preis oder doch auch der Mehrwert an Prestige? Und was ist die Moral von/hinter "der Geschichte"? Der Supermarkt ist hier nicht gedacht zur schnellen Besorgung, sondern zur Kommunikation, sogar zur Begegnung: Kunde mit Kassier, vor allem aber Kunden untereinander - und zwar spontan. Genannt seien hier lediglich der Kontakt zwischen "Blondem" und Jutefrau mit der Betrachtung zur Moral, der Kontakt zwischen Armani-Mann und "Bon Tour", der im Fach "Tiefkühlkost" seinen realen Höhepunkt findet und das Zusammentreffen vom Armani-Mann beim Einkauf mit seiner Gucci-Frau, der sich von einer jungen Frau beeindrucken und betören lässt. Hier ist für mich ein Höhepunkt, denn das gegenseitige Gefallen zeigt sich (nur!?) im gegenseitigen Händereichen und -halten (geradezu klassisch!).

Das ernste, nachdenkliche Stück wird auch in dieser Art gestaltet - das zahlreiche Publikum ist nur wenig zu spontanem Gelächter geneigt. Komisch, lustige Situationen wie beispielsweise die junge Frau, die ihren Schuh in den Einkaufskorb des interessierenden jungen Mannes wirft, sind meist vermieden. Dazu eine kleine Beobachtung am Rande: Warum trägt der Kassier einen Stock spazieren, den er so offenkundig nicht benötigt? Und nicht zuletzt "klassisch" ist dann auch das Schema der Begegnung der Kunden: entweder Mann und Frau oder Mann mit seiner Frau, der eine andere (jüngere!?) Frau kennenlernt. Alles in allem: Ein interessantes zeitgenössisches Stück in einer sehr gelungenen Aufführung. Es ist verständlich und erfreulich, dass theater privat eingeladen ist, im März am Amateurtheaterfestival teilzunehmen.